Eine Debatte ohne Ende? Raubkunst und Restitution im deutschsprachigen Raum

Eine Debatte ohne Ende? Raubkunst und Restitution im deutschsprachigen Raum

Organisatoren
Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien Potsdam
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.04.2007 - 24.04.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Miriam Stachat

Das Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam veranstaltete vom 22. bis 24. April 2007 in der brandenburgischen Landeshauptstadt eine internationale Konferenz zu dem Thema „Eine Debatte ohne Ende? Raubkunst und Restitution im deutschsprachigen Raum“. Der umstrittenen und oft polemisch-emotional diskutierten Frage nach dem Umgang mit während des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogenen Kunstgegenständen widmeten sich in interdisziplinärem Rahmen Wissenschaftler, Museumsvertreter, Juristen, Journalisten und Repräsentanten aus Politik und Kultur.
Bereits das große Interesse im Vorfeld der öffentlichen Konferenz – mit Teilnehmern aus Deutschland, den USA, England, Frankreich, Israel, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Polen, der Schweiz und Österreich – spiegelte die Dringlichkeit einer eingehenden, weiterführenden Beschäftigung mit diesem Thema, welches in der Öffentlichkeit zum Teil heftige Polarisierungen hervorgerufen hat

Nach den Grußworten des Direktors des Moses-Mendelssohn-Zentrums, Julius H. Schoeps, und der Präsidentin der Universität Potsdam, Sabine Kunst, eröffnete der Abendvortrag des Staatsministers a. D. Michael Naumann, die Veranstaltung. Er thematisierte mit der Frage „Raubkunst oder Beutekunst?“ die moralischen Aspekte der Restitutionsdebatte in den deutschen Medien und beleuchtete dabei kritisch die Rolle der Presse, besonders am Beispiel der Rückgabe des Ernst Ludwig Kirchner-Gemäldes „Berliner Straßenszene“ aus dem Berliner Brücke-Museum im Juli 2006. Der streitbare Vortrag ging darüber hinaus allgemein auf das Verhältnis von rechtlichen und moralischen Aspekten ein und bildete einen ebenso kritischen wie provozierenden Einstieg in die Debatte der folgenden Tage.

Themenbereiche staatlicher Positionen wurden in einer ersten Sitzungseinheit unter der Leitung von Christina von Braun (Humboldt-Universität, Berlin) erläutert. Zunächst stellte der Special Envoy for Holocaust Issues des U.S Department of State, J. Christian Kennedy, die Rolle der USA in der Kunstrestitution in einem Abriss der Entwicklung von der Nachkriegszeit bis zur Realisierung der Grundsätze der „Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust“ (Dezember 1998) dar. Dabei verwies er auf das Engagement der USA als ein Nicht-Täter-Land, erwähnte aber auch den vereinzelten Raub von Kunstgegenständen durch US-Soldaten im Zuge des Zweiten Weltkrieges. In der anschließenden Diskussion wurde eine Nachfolgeveranstaltung zum Resümee der Auswirkungen der Washingtoner Konferenz angeregt und befürwortet.
In einer Rechtsvergleichenden Bestandsaufnahme zur Restitution von Raubkunst in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union stellte der Rechtsanwalt Hannes Hartung die divergierende Restitutionspraxis an Beispielen dar. Er forderte, die Rückgabegrundsätze in Deutschland stärker zu verrechtlichen und damit die Justitiabilität der Entscheidungen zu ermöglichen.
Anschließend sprach Gerhard Charles Rump von der Kunstmarktredaktion der Zeitung „Die Welt“ zu Restitution und Presse anhand der dem "Fall Kirchner" folgenden heftigen Kontroverse. Dabei fokussierte und kritisierte er überwiegend die Beteiligung der einschlägigen Auktionshäuser. In den Diskussionsbeiträgen wurde hingegen auf das auch im Bundesgesetzbuch verankerte Recht auf die freie Verfügung über den wiedererlangten Besitz erinnert, das selbstverständlich den Weiterverkauf zu einem höheren Preis einschließe; eine Moralisierung dieser Frage wurde zurückgewiesen. Im Anschluss an die Vortragseinheit fand eine Pressekonferenz statt.

Im zweiten Tagungsblock, moderiert von Anna-Dorothea Ludewig (Moses-Mendelssohn-Zentrum Potsdam), wurde von Vertretern der Museen und der Raubkunst-Recherche die Entwicklung der Restitutionspolitik in Deutschland und der Schweiz dargestellt und anhand exemplarischer Fälle verdeutlicht.
Anja Heuss beschrieb in ihrem Vortrag die Restitutionspolitik in der Bundesrepublik vor 1990 und stellte unter anderem klar, dass die oft beanstandete Handhabe spezifischer Aspekte der Restitutionsfrage, wie der Beweislast und der Verfolgungsbedingtheit, selbst im umstrittenen Kirchner-Fall den Regeln des seit 1947 geltenden deutschen Wiedergutmachungsrecht entspricht.
Anschließend gab die kanadische Kunsthistorikerin Bogomila Welsh-Ocharov einen Überblick über die Rückgabe verfolgungsbedingt verlorener Gemälde speziell aus dem Werk des Malers Vincent van Gogh. Das Spektrum schloss der Vortrag der schweizerischen Historikerin Esther Tisa Francini, in dem sie ausgewählte Restitutionsfälle mit Bezug zur Schweiz von 1945 bis in die Gegenwart kritisch verglich. Dabei regte sie einen Wandel an: die Erweiterung und Präzisierung des gedanklichen Begriffs „Raubgut“ zu „Fluchtgut“, welcher Kunstgegenstände und ihre Veräußerung in NS-verfolgungsbedingten Notlagen auch im bereits erreichten Exil einschließt.
Den Abendvortrag hielt der Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden Martin Roth. Er erläuterte aus der Perspektive der Museen deren völlig unzureichende finanzielle Ausstattung für eine angemessene und zeitnahe Recherche von Restitutionsforderungen bei Anerkennung der moralischen Notwendigkeit.

Aspekte dieser Thematik wurden am dritten Konferenztag im ersten Panel fortgesetzt, welches Gideon Botsch (Moses-Mendelssohn-Zentrum) leitete. Zunächst mahnte die Historikerin Monika Tatzkow in ihrem Vortrag zur Verbindung von Raubkunst und Kunsthandel im Hinblick auf dessen Rolle die Verantwortung der großen Auktionshäuser an. Anschließend referierte Ute Haug von der Hamburger Kunsthalle – und einzige fest angestellte Kunsthistorikerin zur Provenienzrecherche an einem deutschen Museum – in ihrem Beitrag über Akzession und Deakzession zu den verschiedenen Wegen von Kunstwerken als einem Aspekt der Provenienzforschung an einem Museum. Dabei konstatierte auch sie die mangelhaften Mittel der Einrichtungen, welche eine angemessene Bearbeitung behindern.
Der Beitrag von Barbara Schneider-Kempf, Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, zu Erfahrungen und Problemen mit der Restitution war auch daher von besonderem Interesse, weil anhand der „stillen“ Restitution im Bibliotheksbereich ein erfolgreiches Beispiel für den pragmatischen Umgang mit diesem Thema gegeben werden konnte. Dabei wurde deutlich, dass sich die Debatte um Raubkunst und Restitution weniger am Thema selbst als am materiellen und emotionalen Wert des zu restituierenden Gegenstandes entzündet.

In der abschließenden Sitzungseinheit unter der Moderation des Rechtsanwaltes Ulf Bischof rückten mit Aspekten der Optimierung der Restitutionspraxis in Deutschland noch einmal rechtliche Fragen in den Mittelpunkt. Die Position der Jewish Claims Conference wurde durch ihren deutschen Repräsentanten, Georg Heuberger, vertreten, der sich für eine großzügige Regelung aussprach und Restitutionsansprüche aus dem Zeitraum von 1933 bis 1945 grundsätzlich anerkannt wissen möchte. Der Rechtsanwalt Jost von Trott zu Solz stellte verschiedene Vorschläge zur Verbesserung der rechtlichen Grundlagen von Restitutionsentscheidungen und Restitutionsverfahren vor.

Im Rahmen der Abschlussdiskussion verabschiedeten die Teilnehmer der Konferenz gemeinsam die im Anhang folgende Resolution, welche eine konstruktive Perspektive für den zukünftigen Umgang mit dieser umstrittenen Problematik entwickeln will. Die anhaltende Notwendigkeit einer eingehenden und weiterführenden Auseinandersetzung mit diesem Thema wurde im Zuge der Konferenz deutlich. Dies wäre im Rahmen einer Folgeveranstaltung möglich, welche die Lösungsvorschläge aufgreifen und weiterentwickeln könnte. Die Potsdamer Konferenz hat damit ihren Zielgedanken erreicht, einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte zu leisten und vermittelnde Positionen zu stärken. Ein Tagungsband erscheint im Oktober 2007.

Anhang:

Resolution

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Internationalen Konferenz „Eine Debatte ohne Ende? Raubkunst und Restitution im deutschsprachigen Raum“ in Potsdam (22.-24. April 2007) haben folgende Resolution beschlossen:

1. Bekräftigt werden die Washingtoner Prinzipien von 1998 und die Gemeinsame Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden aus dem Jahre 1999.

2. Es herrscht Einigkeit, dass die Provenienzforschung in Deutschland verstärkt werden muss. Museen und Kultureinrichtungen sind zu systematischen und umfassenden Recherchen aufgefordert, wozu sich deren Träger selbst verpflichtet haben. Für die Provenienzforschung haben die Träger der Museen ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Die bestehenden Defizite sollen so schnell als möglich aufgearbeitet werden. Die Ergebnisse müssen zeitnah publiziert und sollen in der frei zugänglichen Lost Art Internet Database veröffentlicht werden.

3. Die Selbstverpflichtung der Bundesrepublik Deutschland durch die Washingtoner Grundsätze und die Gemeinsame Erklärung von 1999 muss nunmehr in die Praxis umgesetzt werden. Im Einzelfall heißt das, dass in anstehenden Restitutionsverfahren die Voraussetzungen für faire und gerechte Lösungen geschaffen werden müssen. Dies bedeutet allerdings auch, dass die Verfahren transparent durchgeführt werden.

4. Die Beratende Kommission unter Vorsitz von Frau Professor Limbach sollte in die Lage versetzt werden, auch bei Anrufung einer Seite, in strittigen Einzelfällen, Empfehlungen auszusprechen. Die Empfehlungen der Kommission und deren ausführliche Begründungen sollen veröffentlicht werden.

5. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz empfehlen fast 10 Jahre nach der Washingtoner Erklärung, dass eine Folgekonferenz organisiert wird, bei der die Teilnehmerstaaten ihre Erfahrungen vorstellen und gegebenenfalls Vorschläge für bessere Verfahrensweisen bei der Umsetzung der Washingtoner Erklärung beschlossen werden können.

Potsdam, den 24. April 2007

Kontakt

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